Die Juwelen unserer
heimischen Flora - Allgemeines
1. Vorwort
Wohl jeder Pflanzenfreund hofft, auf seinen Wanderungen
auch Orchideen zu finden. Sie sind die Kostbarkeiten
unserer Pflanzenwelt, die, wenn wir sie finden, uns mit
großer Freude und Faszination erfüllen. Da Orchideen
leider nicht in jeder Region Deutschlands zu finden
sind, wird der eine mehr, der andere weniger auch etwas
stolz über solch einen Fund empfinden.
Die meisten Orchideen und Orchideenarten wird man nur in
Gebieten mit kalkhaltigem Boden finden (z.B.
Kaiserstuhl, Schwäbische und Fränkische Alb, Spessart
oder Rhön). Dort findet man regional oft sogar riesige
Bestände. Hier, im Rhein-Main-Gebiet, sind Orchideen
auch zu finden. Doch liegen manchmal nur wenige
Kilometer zwischen keinem und häufigeren Vorkommen.
Auch, was verschiedene Arten anbelangt, gibt es dies
Phänomen. Zum Beispiel habe ich rund um Hattersheim
bislang nur die Breitblättrige Stendelwurz gefunden. Nur
wenige Kilometer nördlich, an der Grenze zwischen Taunus
und Vordertaunus, gibt es dagegen zusätzlich noch
Vorkommen von Knabenkräutern (Orchis sp.). Schaut man
etwas westlich, so findet man bei Mainz die
Bocksriemenzunge; östlich dagegen, auf Frankfurter
Stadtgebiet, kommen noch Ragwurz-Arten hinzu. Und etwas
südlich von Hattersheim kann man auf den
Mönchbruchwiesen Knabenkräuter der Gattung Dactylorhiza
entdecken. Doch insgesamt sind alle Bestände von
Orchideen im näheren Umkreis von Hattersheim (also etwa
Mainz - Main-Taunus-Kreis - Frankfurt, sowie Taunus bis
Walldorf) nicht so groß, wie beispielsweise in der
Region um Karlstadt am Main. Somit wird ein
Hattersheimer eher ein Freudengeschrei beim Finden einer
Orchidee anstimmen, als jemand aus Karlstadt am Main.
Da ich
ja kein Auto besitze und somit nicht wirklich mobil
bin, war mein Aktionsradius sehr eingeschränkt.
Lange musste ich mit zwei Arten vorlieb nehmen:
Breitblättrige Stendelwurz und Fleischfarbenes
Knabenkraut. Die wirklich reichhaltigen und
vielfältigen Orchideenbestände in Deutschland
blieben unerreichbar - bis 2006. Durch den engen
Kontakt mit Anja,
die im Stuttgarter Raum wohnt, habe ich seitdem eine Art
Basislager für Tagesausflüge zur Schwäbischen Alb. Auch,
wenn ich so nur die westlichsten Gebiete erreichen kann,
bin ich überglücklich. So konnte ich seit 2006 bei
meinen ersten Touren mit Anja in die Regionen um
Kirchheim unter Teck einige noch nie zuvor von mir
gesehene Orchideen finden und bestaunen. 2007 lernte ich
dann Reiner kennen, ein Mitglied des Arbeitskreises
heimische Orchideen. Er führte mich in jenem Jahr
erstmalig in Gebiete um Karlstadt am Main und
Tauberbischofsheim. Dort bekam ich dann noch einmal ganz
andere Orchideen zu Gesicht. Seit 2008 ist Nina nun ein
zusätzlicher Garant für Ausflüge in botanisch besonders
interessante Gebiete und die Zahl der Orchideen (oder
anderer seltene Pflanzenarten), derer ich ansichtig
werde steigt weiter. Obwohl ich manche Orchidee nun
schon zig Mal sah und bestaunte, ist meine Freude, meine
Faszination und mein Jubel über jeden Fund nach wie vor
ungebrochen.
Viele Orchideen sind selten und einige sogar wahre
Raritäten in Deutschland. So wundert es nicht, dass alle
heimischen Arten unter Naturschutz stehen und zusätzlich
auch noch durch das (Internationale) Washingtoner
Artenschutzabkommen (Cites) streng geschützt sind. Es
ist also strengstens und unter Strafe verboten, unsere
Orchideen zu pflücken, auszugraben oder sonst wie zu
schädigen.
Ich will nun versuchen, Ihnen einen Einblick in das
Leben der Orchideen zu geben, die Unterschiede zu
anderen Pflanzen erklären und Ihnen natürlich meine
bisherigen Funde etwas genauer vorstellen. Begleiten Sie
mich nun doch ein wenig in die Welt der heimischen
Orchideen.
*
2. Lebensbedingungen
(Bodenverhältnisse, Keimung, Standorte)
Wie ich schon erwähnte, benötigen viele unserer
heimischen Orchideen einen kalkhaltigen Boden. Es gibt
aber auch Arten, die kalkarme, oder sogar saure Böden
bevorzugen oder auch nur dort wachsen. Ein kleiner Teil
Orchideen ist in seinen Bodenansprüchen auch gar nicht
besonders wählerisch. Es gibt Orchideen magerer
Trockenrasen, als auch nasser Wiesen oder Moore. Andere
sind dagegen reine Waldbewohner oder Gebirgsarten. Sie
sehen, im Grunde gibt es fast für jeden Lebensraum eine
passende Orchideenart. Ich denke, wenn der Mensch nicht
solch einen Raubbau mit der Natur betreiben, Wiesen und
Weiden nicht so intensiv bewirtschaften und die Natur
immer weiter zurückdrängen würde, gäbe es sicher vor
fast jeder "Haustüre" Orchideen in größeren Beständen.
Was aber alle Orchideen als Grundbedingung für ihr Leben
benötigen, sind bestimmte Bodenpilze - die so genannten
Mykorrhizapilze. Denn ohne diese speziellen Pilze können
Orchideensamen nicht keimen und andererseits der Pilz
nicht leben. Das liegt zum einen daran, dass die Samen
im Gegensatz zu denen der meisten anderen
Pflanzenfamilien keinerlei Nährgewebe besitzen und auf
eine äußere Zufuhr von Nährstoffen angewiesen sind.
Andererseits können diese Pilze bestimmte Kohlehydrate
(Zucker) nicht selbst aufschließen und sind in dieser
Hinsicht auf die Orchidee angewiesen. Diese Pilze
infizieren nun quasi den meist staubfeinen, zu Boden
gefallenen und aufgequollenen Same und lassen ihm die
nötigen Nährstoffe und Wasser zur Keimung zukommen. Ist
die erfolgt, kann die Orchidee wachsen. Doch kann es
Jahre dauern, bis sie stark und groß genug ist, dem Pilz
nun auch zu geben, was er zum Leben benötigt: leicht
verdauliche Kohlenhydrate. Sehr wenige
Orchideenarten sind da "egoistischer", sie geben dem
Pilz nichts zurück, da sie selbst wegen fehlender
Photosynthese keine Zuckerstoffe aufschließen und so dem
Mykorrhizapilz auch keine zukommen lassen können. Manche
Orchideenart braucht rund zehn Jahre, ehe sie blühfähig
wird.
Diese Pilze ermöglichen wegen ihres meist weit
reichendem Myzels (quasi das Pendant zu Pflanzenwurzeln)
und der Fähigkeit, Wasser zu speichern und an ihren
Partner (der Pflanze) weiter zu geben, vielen Arten erst
das besiedeln trocken-heißer Standorte. Also: kein Pilz
bedeutet: keine Keimung - und keine Keimung bedeutet:
keine Orchidee. Besonders diese Mykorrhizapilze sind es,
die auf Einbringung von Dünger durch den Menschen
empfindlich reagieren und absterben. So kann auch ein
einstmals großer Bestand von Orchideen an einem Ort
durch Ausbringung von Jauche oder anderem Dünger in
wenigen Jahren vernichtet werden. Die Düngung dürfte
ohnehin der Hauptgrund für den Rückgang der heimischen
Orchideenvorkommen sein. Einige Orchideen benötigen
diese Pilze nicht nur zur Keimung, sondern ihr ganzes
leben lang und leben in Symbiose (wobei die Verbindung
von Pilz und Pflanze richtiger Weise Mykorrhiza heißt) mit ihm. Während die einen ihn eher dazu
benötigen, längere Trockenperioden zu überstehen, sind
die chlorophyllarmen oder -freien Arten allein durch
diese Verbindung lebensfähig. Durch das fehlen von
Blattgrün (Chlorophyll) ist es ihnen nicht möglich,
selbst Zuckerstoffe (Kohlehydrate) zu "verdauen". Diese
zwingend lebensnotwendigen Nährstoffe Kohlen- und
Stickstoffe) beziehen diese Arten alleine durch die
Mykorrhizapilze. Sie sind eigentlich wie Parasiten, da
sie nur nehmen und nichts geben - doch dies ist doch
eher eine menschliche Sicht der Dinge.
Diese Mykorrhiza, besser, deren Fehlen, ist es auch, die
unerlaubt ausgegrabene und im eigenen Garten
eingepflanzten Orchideenstöcke schnell zugrunde gehen
lassen. Zum einen gibt es diese Pilze in den meisten
Gärten nicht, zum anderen finden die an den
Orchideenwurzeln noch haftenden im Gartenboden nur
äußerst selten ihnen zusagende Lebensbedingungen. Diese
Unsitte, die dazu noch strengstens Verboten ist,
Orchideen in der Natur auszugraben, hat vielerorts
ebenfalls (neben der Düngung) zum Rückgang vieler Arten
gesorgt. Oft wurden sogar ganze Bestände dadurch völlig
ausgerottet. Betroffen davon waren (und sind leider
immer noch) besonders große oder großblütige Arten wie
zum Beispiel der Frauenschuh.
Orchideensamen haben aber auch eine Eigenschaft, die für
die Arterhaltung (unter dem Einfluss des Menschen auf
die Natur) sehr von Vorteil ist: sie bleiben oft für
viele Jahre im Boden keimfähig. So kann es also
geschehen, dass ein einstmals durch Düngung vernichteter
Bestand, nach Jahren in denen nicht mehr gedüngt wurde
und sich diese eingebrachten Stoffe wieder abbauen
konnten, wieder von selbst regeneriert - wenn sich denn
die nötigen Mykorrhizapilze in der erholten Erde wieder
ansiedeln.
Ungedüngte Wiesen oder gar Böden sind in unserer
weitestgehend kultivierten Landschaft sehr selten
geworden - und somit die auf sie angewiesenen Orchideen.
*
3. Blätter und Blüten
Blätter
Ein geschultes Auge kann Orchideen auch ohne deren
unverwechselbaren Blüten an einem Standort finden (wenn
auch nicht zwangsläufig einer Art zuordnen). Die
Orchideen sind einkeimblättrige Pflanzen
(Monocotyledones). Das bedeutet, bei der Keimung treibt
nur ein Keimblatt aus (im Gegensatz zu den
zweikeimblättrigen Pflanzen, dort sind es immer zwei -
wie der Name schon verrät. Alle unsere Baum- und
Straucharten sowie die überwiegende Mehrheit unserer
Pflanzen, Stauden und Kräuter gehören zu dieser Gruppe).
Doch der in der Regel sichtbarste Unterschied zeigt sich
im Aufbau der Pflanzenblätter. Während die Blätter
zweikeimblättriger Pflanzen (schauen sie sich doch mal
ein Blatt von irgendeinem Baum an) von einem fast kreuz
und quer verlaufendem Netz aus Blattnerven (-adern)
durchzogen sind, gibt es bei Einkeimblättlern nur
(zumeist) einen deutlich sichtbaren Blattnerv, der längs
das Blatt durchläuft. Genau gesagt sind die Blätter
streifennervig, dass ist besonders deutlich bei den
ebenfalls einkeimblättrigen Gräsern zu sehen. Andere,
sicher allen bekannte Pflanzenfamilien aus der Gruppe
der Monocotyledones sind die Mitglieder der
Liliengewächse. Also beispielsweise Maiglöckchen,
Tulpen, Schnittlauch, Krokus oder Schwertlilien, wobei
mich die Blätter der ebenfalls dazugehörigen
Herbstzeitlosen am ehesten an Orchideenblätter erinnern.
Blüten
Die Blüten der Orchideen sind dagegen einzigartig in
unserer Flora. Sie sind nur über die Längsachse
spiegelbar (was auch beispielsweise auf Lippenblüter -
z.B. Salbei - zutrifft, die aber zu den
Zweikeimblättlern gehören) und sind immer aus sechs
Blütenblättern aufgebaut - Kelchblätter gibt es im
Grunde nicht. Die drei Blütenblätter direkt am Stiel (Sepalen
genannt) sind mehr oder weniger miteinander verwachsen
und bilden oft eine Art Kappe, während der innere
"Kreis" aus zwei meist seitlich weg gespreizten
Blütenblättern - Petalen genannt - besteht (diese können
auch sehr klein und verkümmert sein) aus deren Mitte das
sechste, zu einer Lippe oder auch einer Art "Wanne"
geformte, entspringt. Dieser Aufbau: drei Sepalen, zwei
Petalen und einer Lippe, ist (von der Symmetrie
abgesehen) einzigartig. Die Lippe ist bei vielen Arten
das wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Hier sind zum
Verständnis einmal drei Beispiele:
a) Zu einer "Kappe"
verwachsene Sepalen, weit gespreizte Petalen und eine
schmale Lippe
b) Große, gespreizte
Sepalen, verkümmerte Petalen und eine breite Lippe
c) Sepalen und Petalen in
Form und Farbe fast identische, Lippe zu einer "Wanne"
geformt
Ein weiterer Unterschied zu Blüten anderer
Pflanzenfamilie stellen die zu einem kleinen Säulchen
verwachsenen Narben, (2)Staubblätter und (1)Griffel.
Darin untergebracht ist ein gattungsspezifischer
Mechanismus, der die Blüte besuchende Insekten mit
Pollen bestäubt, beziehungsweise ihnen gleich ganze
Pollenpakete anklebt. An einen Standort mit reichlich
Knabenkräutern sieht man etwa nicht selten Bienen mit
leuchtend orange gefärbten Pollenpäckchen auf der Stirn
herum fliegen. Als Bestäuber kommen neben Bienen noch
andere Insektenarten wie Hummeln, Wespen, Fliegen, Tag-
und Nachtfalter oder auch Ameisen in Betracht - das
hängt ganz von der Orchideenart ab. Manche Orchideen
imitieren mit ihren Blüten auch bestimmte Insekten um
diese anzulocken. Dazu zählen insbesondere die
Ragwurz-Arten. Die Größenpalette der Blüten reicht, je
nach Art von wenigen Millimetern bis zu den ein paar
Zentimetern messenden Frauenschuhblüten. Auch farblich
gibt es Vielfalt. Von völlig unscheinbar grünlich oder
bräunlich über weiß und gelb zu den verschiedensten
Rosa-, und Rottönen. Doch nicht immer sind Insekten als
Fremdbestäuber zur Vermehrung nötig, viele Arten können
sich auch selbst Befruchten. Ein häufiges Phänomen bei
einigen Arten ist die Bastardisierung mit anderen Arten
und so entstanden und entstehen immer wieder Mischlinge.
Natürlich duften auch einige Orchideenblüten. Der
bekannteste Duft einer Orchidee ist ihnen sicher allen
vertraut: es ist Vanille. Die Echte Vanille ist eine
tropische, auf Bäume kletternde Orchidee. Unter unseren
heimischen gibt es aber auch einige Arten, die zumindest
nach Vanille riechen, obgleich sie nicht wie ihre
exotische Verwandte verwendet werden können. Andere
Duftnoten sind etwas honigartig oder an Maiglöckchen
erinnernd - oder sie sind einfach auf ihre Art
wohlriechend. Es gibt auch "Stinker" unter den Schönen.
Allen voran die Bocksriemenzunge mit ihrem
Ziegenbockgeruch.
Hauptblütezeit unserer Orchideen ist der Spätfrühling -
so etwa von Mitte Mai bis Anfang Juni. Den Blütenreigen
eröffnet wohl das seltene Kleine Knabenkraut Ende April,
dem folgen weitere Knabenkräuter bis dann gegen
Pfingsten das "Massenblühen" der Arten einsetzt (z.B.
Frauenschuh, Bocksriemenzunge, die meisten Knabenkräuter
und Ragwurz-Arten). Etwas später, etwa Mitte Juli lösen
dann die meisten Stendelwurz-Arten diese Zeit ab. Den
Abschluss der Orchideenblüte bildet die Herbst-Drehwurz
Ende August / Anfang September.
*
Das war nun der erste, trockene
und theoretische Teil mit allgemeinen Informationen zu
diesen faszinierenden Pflanzen. Der zweite Teil ist ja
genau betrachtet ebenfalls Theorie, aber wesentlich
bunter und prächtiger, denn dort stelle ich ja meine
bisher gefundenen Arten vor - natürlich mit Fotos.
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